Was ist eigentlich "toxische Weiblichkeit"?

„Toxische Weiblichkeit“ beschreibt ein Verhalten, das auf verinnerlichten, patriarchal geprägten Vorstellungen dessen beruht, was „richtige Weiblichkeit“ ausmacht: Passivität, Geduld, Liebenswürdigkeit, Freundlichkeit, Empfänglichkeit, Bereitschaft zur Anpassung. Das Resultat ist eine Selbstverleugnung und -ausbeutung, um andere zu akkommodieren, das heißt: es ihnen recht zu machen und generell möglichst unkompliziert bzw. keine Belastung zu sein.

 

Dieses Verhalten ist insofern toxisch, als dass es selbstschädigend ist, aber es kann auch toxisch auf andere Frauen wirken, wenn an sie die Erwartung gestellt wird, sich ebenfalls so zu verhalten, und jedwede Misserfolge auf vermeintlich nicht ausreichend „weibliches“ oder akkommodierendes Verhalten zurückgeführt werden. 

 

Toxizität kann auch dadurch entstehen, dass das Verhalten oft eine Abwertung anderer Frauen beinhaltet, um sich selbst als eine Art seltener Sonderfall hervorzuheben. Eine Frau, die auf diese Weise versucht, sich bei Männern beliebt zu machen, wird auch „pick-me-girl“ genannt. 

 

„Toxische Weiblichkeit“ ist NICHT das Pendant zu toxischer Männlichkeit, auch wenn eine bestimmte Szene diesen Begriff gern so besetzen würde, um eine der toxischen Männlichkeit gleichgestellte Destruktivität von Frauen zu suggerieren. Denn:

 

Toxische Männlichkeit beschreibt ein Dominanzverhalten und eine starke Anspruchshaltung gegenüber Frauen, die dabei nicht als vollwertige Menschen betrachtet werden. "Toxische Weiblichkeit" hat auf der anderen Seite nicht den Zweck, die Gruppe der Männer zu dominieren, sondern vielmehr in diesem System möglichst viel Nähe zu denjenigen mit der größten Macht herzustellen. Gründe dafür sind der Wunsch nach eigener Macht oder mehr Sicherheit in einer Welt, die von toxischer Männlichkeit geprägt ist. 

 

Unter „toxischer Weiblichkeit“ leiden entsprechend nur Frauen selbst - Männern hingegen kommt sie zupass. 

 

Frauen als eigenständige Verursacherinnen toxischer Weiblichkeit zu betrachten, bedeutet, Frauen die Schuld an ihrer Unterdrückung zuzuweisen. Das ist eine Täter-Opfer-Umkehr, wie wir sie alltäglich im Kontext von Gewalt gegen Frauen hören und erleben. Die undifferenzierte Verwendung des Begriffs trägt daher zu einer Kultur bei, die das legitimiert.  

 

Tl; dr: „Toxische Weiblichkeit“ is not a thing. Sie ist vielmehr eine Konsequenz der binären Geschlechterhierarchie, die Frauen eine untergeordnete Position zuweist. 

PS: Klar können Frauen sich auch scheiße verhalten und natürlich kann man Frauen auch kritisieren, ohne sexistisch zu sein. Die meisten Frauen wären happy, einfach nur sachbezogen kritisiert zu werden, aber meistens klappt das halt nicht, weil die misogyne Brille, die uns allen aufgezwungen wurde, die Sicht auf die Sache verzerrt. Man nennt das auch „unconscoius bias“, und ich wünschte, der „special place in hell“ (Madeleine Albright) wäre nicht für unsolidarische Frauen, sondern für Typen, die Begriffe wie „toxische Weiblichkeit“ benutzen, um feministische Anliegen zu untergraben. 

Quellen: Die Liste der „weiblichen“ Eigenschaften ist teilweise aus „Toxic Femininity. Is acting as fragile and frivolous internalized misogyny?“, von R. C. Savin-Williams (2019) und ich habe vor Fertigstellung des bereits verfassten Textes die Story von @mia_latkovic auf Instagram gelesen (siehe Highlight bei ihr).