Natürlich gibt es auch einen „Financial Load“ – also den Druck und die Verantwortung, als Haupt- oder Alleinverdiener*in die finanzielle Existenz der Familie zu sichern. Dieser Druck ist real und kann enorm belastend sein. Allerdings sehe ich ihn nicht als „andere Seite“ des Mental Load, sondern als Teil desselben Problems: ungleiche Verteilung von Verantwortung innerhalb der Familie und eine gesellschaftliche Überbewertung von Erwerbsarbeit gegenüber unbezahlter Sorgearbeit.
Ein tief verankertes Missverhältnis
Während Mental Load oft unsichtbar bleibt („Hast du dran gedacht, dass die Kinder morgen eine Regenjacke brauchen?“), genießt Financial Load gesellschaftliche Anerkennung. Lange Arbeitszeiten werden bewundert: „Wow, wie fleißig!“ – während unbezahlte Care-Arbeit selten als „echte“ Arbeit gilt. Doch diese Schieflage ist kein Zufall, sondern tief in den kapitalistischen Strukturen unserer Gesellschaft verankert. Unsere Gesellschaft setzt immer noch das „Geldverdienen“ als höchste Priorität. Dabei wäre es dringend an der Zeit, sich zu fragen: Welche Werte vertreten wir eigentlich, wenn wir lieber unsere Beziehungen und unsere Gesundheit belasten, als weniger zu verdienen?
Was wäre, wenn wir anders priorisieren würden?
Viele Familien könnten es sich durchaus leisten, wenn beide Partner*innen ihre Arbeitszeit reduzieren würden. Doch oft steht die Angst im Raum, den finanziellen Status zu verlieren. Ein bisschen Kapitalismuskritik an dieser Stelle: Was bringt es uns eigentlich, möglichst viel zu verdienen, wenn wir dafür einander aus den Augen verlieren? Wenn wir aus Überlastung ungeduldig mit unseren Kindern werden oder uns als Paar nur noch im Wechsel der Schichten „Hallo“ sagen?
Es lohnt sich, die eigenen Werte zu hinterfragen: Ist es mir wirklich wichtig, dass mein Konto wächst? Oder möchte ich lieber, dass meine Beziehungen wachsen?
Das klingt natürlich für Menschen, die auf zwei Einkommen durch Vollzeitarbeit angewiesen sind, wie Hohn. Aber das macht deutlich, wie ungerecht es in dieser Gesellschaft zugeht. Sich um Beziehungen kümmern zu können und familiäre Fürsorgeverantwortung aktiv zu übernehmen sollte keine Frage des Geldes sein.
Der Gender Pay Gap als Symptom eines größeren Problems
Natürlich spielt der Gender Pay Gap hier eine große Rolle. Doch es geht nicht nur darum, wer mehr oder weniger verdient, sondern auch darum, wie wir die Wertigkeit von Arbeit bemessen. Solange Sorgearbeit als Privatangelegenheit betrachtet wird, die finanziell kaum abgesichert ist, wird es immer als „logisch“ erscheinen, dass die Person mit dem geringeren Einkommen (meist die Frau) ihre Erwerbsarbeit reduziert.
Sorgearbeit: Unbezahlt im Privaten, unterbezahlt im Beruflichen
Die Abwertung von Sorgearbeit zieht sich wie ein roter Faden durch unsere Gesellschaft. Sie spiegelt sich nicht nur in unbezahlter Care-Arbeit zu Hause wider, sondern auch in den niedrigen Gehältern der Berufe, die mit Sorgearbeit verbunden sind. Pflegekräfte, Erzieherinnen, Sozialarbeiterinnen – all diese Berufe werden überwiegend von Frauen ausgeübt und gehören gleichzeitig zu den am schlechtesten bezahlten. Wenn wir Sorgearbeit wirklich aufwerten würden, hätte das weitreichende Auswirkungen:
- Höhere Löhne im Care-Sektor: Mehr Wertschätzung für bezahlte Sorgearbeit würde nicht nur den Menschen in diesen Berufen zugutekommen, sondern auch das finanzielle Ungleichgewicht in Partnerschaften verringern.
- Bessere Absicherung für unbezahlte Sorgearbeit: Rentenpunkte, finanzielle Unterstützungen für Pflegezeiten oder ein bedingungsloses Grundeinkommen könnten dazu beitragen, dass der finanzielle Verlust durch Sorgearbeit geringer ausfällt. Das würde es auch dem Besserverdienenden leichter machen, seine Lohnarbeitszeit zu reduzieren, ohne dass die Familie in finanzielle Schwierigkeiten gerät.
Es braucht neue gesellschaftliche und politische Rahmenbedingungen:
- Rentenpunkte für Sorgearbeit: Damit die Versorgung im Alter nicht allein an Erwerbsarbeit geknüpft ist.
- Elternzeitmodelle mit Anreizen für beide Partner*innen: Zum Beispiel längere Bezugszeiten, wenn beide ihre Arbeitszeit reduzieren.
- Eine Aufwertung der Care-Berufe: Durch bessere Bezahlung und mehr gesellschaftliche Anerkennung.
Um wirklich etwas zu verändern, braucht es nicht nur neue Maßnahmen, sondern auch ein grundlegendes Umdenken. Wir müssen aufhören, Geld als den einzigen Maßstab für Erfolg und gesellschaftliche Teilhabe zu sehen. Stattdessen sollten wir Sorgearbeit und Beziehungsarbeit aufwerten und Löhne und Arbeitszeiten so anpassen, dass sich jede und jeder die Freiheit nehmen kann, das Leben so zu gestalten, dass es uns wirklich guttut.